bosnische Literatur

bosnische Literatur
bọsnische Literatur,
 
auf dem Territorium Bosniens und der Herzegowina hat es seit dem Mittelalter slawisches Schrifttum gegeben, das sowohl im Verhältnis zu der kroatisch-glagolitischen Tradition als auch zur sebisch-kyrillischen Besonderheiten aufwies (Entwicklung besonderer Schriftformen, etwa der »Bosančica«). Aus dem Umkreis der Bosnischen Kirche (Bogomilen) sind nur wenige Denkmäler erhalten (»Hvalov rukopis«, »Mletački zbornik«). Mit dem Fall des Königreichs Bosnien (1463) und der nun einsetzenden Bildung städtischer Zentren unter den Osmanen entwickelte sich jener kulturelle Pluralismus, der die bosnische Literatur in der Folgezeit geprägt hat und als ihr besonderes Kennzeichen (»Multiliterazität«) gelten kann. Zu einer reichhaltigen Literatur in orientalischen Sprachen (Türkisch, Arabisch, Persisch) traten die literarischen Bestrebungen der bosnischen Franziskaner und der Serben (v. a. in den orthodoxen Klöstern) in kroatischer und serbischer Sprache. Nach der Ankunft der aus Spanien vertriebenen Sephardim entfaltete sich hebräisches Schrifttum (David Pardo, 18. Jahrhundert). Weit verbreitet war das so genannte Aljamiado-Schrifttum (serbokroatische Texte in arabischer Schrift). Nach der österreichisch-ungarischen Okkupation 1878 entstand ein vielgestaltiges multiliterarisches Leben, das sich v. a. in literarische Gesellschaften und um Zeitschriften wie die offiziöse »Nada«, die serbischen Zeitschriften »Bosanska vila« und »Zora« sowie die muslimischen Zeitschriften »Behar« und »Biser« rankten.
 
Im Umkreis der Moderne traten Lyriker wie der Kroate S. S. Kranjčević, die Serben J. Dučić und A. Šantić, die Muslime Safvet-Beg Bašagić-Redžepašić (* 1870, ✝ 1934) und Musa Ćazim Ćatić (* 1878, ✝ 1915) auf. Beiträge zur realistischen Erzählliteratur lieferten serbischer (P. Kočić, Svetozar Ćorović, * 1875, ✝ 1919) und muslimischer Schriftsteller (Edhem Mulabdić, * 1862, ✝ 1954). Die Bewegung der »Mlada Bosna« (Jung-Bosnien), an der I. Andrić, Miloš Vidaković (* 1891, ✝ 1915) u. a. teilnahmen, war proserbisch beziehungsweise »jugoslawisch« gestimmt. In der Zwischenkriegszeit brachte die bosnische Literatur in allen Einzelsträngen beachtliche Erzähler hervor (I. Samokovlija, Ahmed Muradbegović, * 1898, ✝ 1972; Hamza Humo, * 1895, ✝ 1970; B. Ćopić u. a.). In Andrićs Erzählungen und Romanen dominierte zwar das bosnische Thema, doch nahm er mehr und mehr einen Standpunkt »von außen« ein. Nach 1945 gestalteten M. Selimović in seinem philosophisch ausgerichteten Erzählwerk, Ćamil Sijarić (* 1913) in Gesellschaftsromanen und Derviš Sušić (* 1925) in satirischen Werken die Besonderheiten der bosnischen Welt. Die Lyrik vertraten Mak Dizdar (* 1917, ✝ 1971), der die bogomilische Tradition belebte, Izet Sarajlić (* 1930) mit zeitbezogenen Gedichten sowie in der jüngeren Generation S. Tontić, Irfan Horozović (* 1947) u. a.
 
Seit Ausbruch des bosnischen Krieges 1992 zeichnet sich eine stärkere Akzentuierung der muslimischen Traditionen und mitunter sogar ihre Gleichsetzung mit der bosnischen Literatur ab. Ob das multiliterarische Konzept nach den erfolgten »ethnische Säuberungen« und der faktischen Teilung Bosniens und der Herzegowina künftig aufrechterhalten werden kann, muss bezweifelt werden. Während des Krieges emigrierten viele bosnische Autoren (D. Karahasan, Tontić u. a.). Ihre das Kriegsgeschehen widerspiegelnden Werke stießen im Ausland auf breites Interesse.
 
 
M. Rizvić: Književni život Bosne i Hercegovine izmedju rata, 3 Bde. (Sarajevo 1980);
 
Pisana riječ u Bosni i Hercegovini od najstarijih vremena do 1918. godine. The written word in Bosnia and Herzegovina from earliest times up to 1918, hg. v. D. Basler u. a. (Sarajevo 1982);
 M. Huković: Alhamijado književnost i njeni stvaraoci (Sarajevo 1986).

Universal-Lexikon. 2012.

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